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Das Pferd ist im Hochland von Peru immer noch ein unverzichtbares Transportmittel

Das Pferd ist im Hochland von Peru immer noch ein unverzichtbares Transportmittel

Reisebericht Peru Von der Küste bis Kuélap, dem Machu Picchu des Nordens

Goldmasken, Mumien, Lehmpaläste: Im Norden Perus haben die indianischen Kulturen reiche Schätze hinterlassen. Fern vom Rummel um Cusco und das Heilige Tal entdeckt man hier eine Region im Dornröschenschlaf.

Antonia wartet. Stoisch sitzt die alte Dame vor der Kathedrale von Cajamarca, neben sich einen Korb mit Bonbons und Kaugummi. Ihre langen grauen Zöpfe und der riesige Strohhut weisen sie als Indígena aus, als Landbewohnerin mit indianischen Wurzeln. Der Gesang aus dem geöffneten Portal des barocken Prachtbaus steigert sich, gleich werden die Gläubigen in Scharen herausströmen und bei ihr einkaufen, meint sie hoffnungsvoll. Auf den Bänken des kolonialen Hauptplatzes sitzen verliebte Paare. Kleine dreirädrige Taxis surren vorbei, ganze Großfamilien drängen sich auf deren Rückbänken. Karawanen von ofenrohrgroßen Hüten pilgern Richtung Stadtrand: Frauen auf dem Weg zur Arbeit. Männer kaufen sich an qualmenden Grills noch ihr Frühstück. Dampfschwaden entweichen überall aus Gullys, Kanälen und Abwasserrohren – ein Nebenprodukt der Baños del Inca, der heißen Thermalquellen, die schon von den Ureinwohnern genutzt wurden.

Cajamarca hat Geschichte geschrieben: Als die Spanier im November 1532 mit wenigen hundert Männern über die Hügelkuppe marschierten, sahen sie ein weißes Meer vor sich: die Zelte des Inkaheeres mit Zehntausenden von Kämpfern. Dennoch gelang es den Eroberern, den legendären Inkaherrscher Atahualpa gefangen zu nehmen. Das Haus, dessen Räume er als Lösegeld bis zur Decke mit Gold und Silber füllen ließ, ist heute eine Besucherattraktion – hingerichtet wurde er dennoch. Der spanische Eroberer Francisco Pizarro kannte keine Gnade.

Landkarte Peru

Von einer Klimazone in die andere

Mit dem Geländewagen geht es von Cajamarca Richtung Norden. Kleine Maisfelder und Eukalyptushaine säumen die Strecke. Noch vor den Inka war die Region die Heimat der Chachapoya- Kultur, eines bis heute rätselhaften Volkes von Ackerbauern und Kriegern. Die Inka nannten sie »Wolkenmenschen«, weil sie vor allem in den Nebelwäldern hoch in den Anden lebten.

Wer hier zu einer Rundreise aufbricht, entdeckt ein Land im Dornröschenschlaf. So hat man Cumbe Mayo ganz für sich, ein neun Kilometer langes, rund 3.000 Jahre altes Aquädukt. Und genießt ohne Gedrängel die Ventanillas de Otuzco, steinerne Fensternischen im Fels, in denen einst Mumien und Beigaben lagen. Grabräuber haben die Schätze vor langer Zeit mitgenommen. Die Plünderer sind ein Fluch im Norden Perus. Schon die Spanier raubten hemmungslos, änderten einmal sogar einen Flusslauf, um Gold aus einer Pyramide zu spülen. Doch Grabräuber können auch hilfreich sein – wenn sie rechtzeitig erwischt werden, so wie in Leymebamba, dem Ziel des heutigen Tages. Zuvor ist die Zentralkordillere zu überqueren: ein Abenteuer auf einspurigen Straßen am Rand des Abgrunds – mit Höhenunterschieden zwischen 800 und 3.600 Metern und Temperaturen von acht bis 35 Grad.

Während der Fahrt wechseln die Klimazonen im Halbstundentakt: Bibbernd vor Kälte steht man auf kahlen, windumtosten Pässen, um eine Stunde später in der Schlucht des Marañón-Flusses in Schweiß auszubrechen. In einem Moment gleitet man durch liebliche Täler, in denen Papayas und Avocados wachsen, wenig später säumen riesige Kandelaberkakteen die Straße.

In den 50er-Jahren als Lehmpiste gebaut, wurde die Strecke erst vor vier Jahren asphaltiert – und zieht neue Siedler an: Überall sieht man Häuser im Bau, Männer beim Roden und Pflanzen. Dahinter soll eine Mafia stecken, die illegale Landbesetzungen organisiert: Sie bringt auf einen Schlag 1.000 Menschen und errichtet Häuser, dann fordert sie von der Regierung Wasser und Stromanschlüsse.

Vom Grabräuber zum Museumshelfer

Einkehren kann man in einem der einfachen Straßenrestaurants, die in den Dörfern an der Kante zum nächsten Canyon kleben. Zum Beispiel bei Doña María, die gerade in einem Kessel über dem Feuer Saubohnen röstet, auf dem Land ein preiswerter Kaffeeersatz. Ihre Töchter servieren Huhn mit Reis auf Blechtellern. Hin und wieder schlurft ein Bauer in Gummistiefeln zum Einkaufen herein – auf grob gezimmerten Holzregalen lagern Mais und Bananen, Streichhölzer und Kerzen.

Am 3.600 Meter hoch gelegenen Pass von Calla Calla erstreckt sich ein Panorama weit über die zerklüftete Berglandschaft mit dem grünen Band des Marañón in der Tiefe. Dann beginnt der Endspurt ins grüne Tal von Leymebamba. Bei der Ankunft lassen die letzten Sonnenstrahlen die Lehmhäuser rot erglühen. In einer kleinen Werkstatt am Ortsrand wird noch gearbeitet: Holzschnitzer Miguel Huaman Revilla gibt gerade einer Maske den letzten Schliff – die Replik eines Exponates aus dem lokalen Museum.

Doch Revilla war nicht immer auf der Seite der »Guten«: Er machte als Grabräuber Furore. Gemeinsam mit zwei Freunden entdeckte der heute 40-Jährige vor gut 20 Jahren eine prähispanische Begräbnisstätte voller Mumien nahe der Laguna del Condor. In der Hoffnung auf Grabbeigaben schnitten die Männer die Bündel mit ihren Macheten auf, zerwühlten das Mausoleum und warfen Mumien in den See, aus Zorn darüber, dass sie nichts Wertvolles fanden. Kein Wunder, denn das Chachapoya-Volk schickte seine Ahnen nur mit Alltagsgegenständen auf die Reise ins Jenseits: Maisbier, Waffen, Arbeitsgeräte.

»Ich wäre fast in den Knast gekommen«, erzählt Revilla freimütig. »Ein Jahr lang musste ich mich jede Woche bei der Polizei melden.« Doch er hatte Glück: Als die Forscher kamen, beschäftigten sie ihn als Hilfsarbeiter und entdeckten dabei sein Schnitztalent. Die geretteten Mumien – mehr als 200 – sind heute im Museum des Dorfes zu sehen.

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Kuélap: spektakuläre Festung in den Bergen

Die spektakulärste Entdeckung ließen sich die Grabräuber jedoch entgehen: Bei einem Streit über Landrechte im Jahr 1843 stieß der Richter in 3.000 Metern Höhe auf riesige überwucherte Mauern – Reste der Bergfestung Kuélap. Die Archäologen legten hier mehr als 450 Fundamente frei: Wohnhäuser, Tempel, öffentliche Gebäude. Bis zu 3.000 Menschen sollen hier gelebt haben, bis der Puls der Stadt um 1540 zu schlagen aufhörte – vermutlich aufgrund der Pest.

»Ich fühlte mich wie ein Entdecker«, berichtet ein Bergführer, der vor 20 Jahren zum ersten Mal heraufwanderte. »Ich verlief mich und musste in einer Hirtenhütte übernachten.« Und auch heute ist der Überraschungseffekt noch überwältigend, wenn man aus dem Urwald tritt und plötzlich vor 20 Meter hohen Mauern steht.

Nur eine schmale Pforte führt ins Herz der Chachapoya-Stadt, die zwischen dem 8. und 13. Jh. entstand. Moosige Baumstämme krallen sich mit ihren Wurzeln in das Mauerwerk, lange Flechtenbärte hängen von ihren Ästen. Rot und hellgrün leuchten Bromelien, die in den Wipfeln über den Ruinen wuchern. Am frühen Morgen ist die Anlage menschenleer, nur ein paar Lamas versuchen das wild wuchernde Gras zu dezimieren. Man kann das Rauschen des Windes in den Bäumen hören und die Stimmen der Bauern von den entfernt liegenden Feldern. Doch dieses Jahr soll Kuélap zum Leben erwachen: Im März hat eine Seilbahn den Betrieb aufgenommen, die Besucher innerhalb von 20 Minuten vom Tal zur Ausgrabungsstätte bringt und so die zweistündige Anfahrt erspart.

Touristiker schwärmen vom »Machu Picchu des Nordens« und prophezeien bis zu 1.000 Besucher täglich. Wissenschaftler sind dagegen skeptisch: »Das wird ein Schock für Kuélap sein«, sagt Francisco Valle Riestra, der leitende Archäologe vor Ort. »Ich habe Zweifel, ob die Bauwerke das verkraften. Unsere Arbeiten werden sich zwangsläufig vor allem auf die Beseitigung von Schäden konzentrieren.«

Die Einwohner des nahe gelegenen Dorfes Tinga fürchten indessen, dass große Unternehmen am Tourismus verdienen, während sie leer ausgehen. Im nahe gelegenen Cocachimba ist man da schon weiter: Hier profitieren vor allem Einheimische vom Tourismus.

Gocta: der viertgrößte Wasserfall der Welt

Der erste fremde Gast, ein deutscher Ingenieur, stieß vor zehn Jahren noch auf taube Ohren, als er fragte, ob ihn jemand zum Wasserfall von Gocta führen könne, den er aus der Ferne gesehen hatte. Nicht einmal einen Pfad gab es dorthin. »Der Ort ist verhext. Die Riesenschlange verschlingt jeden, der dorthin geht«, sagten die Dorfbewohner. Doch der Reisende ließ sich nicht abschrecken: Gemeinsam mit Kollegen vermaß er die Kaskade – und entdeckte auf diese Weise den mit 711 Metern vierthöchsten Wasserfall der Welt. Das folgende Medieninteresse sorgte auch bei den Anwohnern für einen Sinneswandel. Sie bauten einen Pfad durch den Urwald und organisierten sich in einem Verein, der Touren anbietet. Mit Pferden geleiten die Bauern die Besucher. Durch die Felder klappern die Pferde auf Steinstufen aufwärts. Blüten baumeln über dem Weg, der bald darauf von Baumfarnen und Schlingpflanzen gesäumt wird. Bäche sind zu überqueren, an denen Spinnennetze silbrig zwischen den Felsen schimmern. Bunte Papageien flattern krächzend durch die Wipfel. Immer dichter stehen die Bäume, immer verwunschener wuchern Moose und Flechten. »Seit wir die Touren anbieten und der Wohlstand wächst, werden auch weniger Bäume gefällt«, sagt unsere Begleiterin Ellen Santillán.

Am Fuße des donnernden Wasserfalls benetzt eine Gischtwolke die Gesichter, die Hänge strahlen in sattem Grün. Einige Mutige wagen sich in den See. Die Riesenschlange hält heute wohl einen Verdauungsschlaf, und auch die geheimnisvolle Seejungfrau, die in einigen Dorfmythen vorkommt, holt keinen der Badenden zu sich in die Tiefe.

Auf der Weiterfahrt ändert die Landschaft ihr Gesicht: Der Weg zur Küste führt erneut durch die Kordillere – diesmal jedoch geht es sanft mit dem Lauf des Utcubamba abwärts, der sich zunächst durch enge Schluchten quetscht, um dann im Tal von Bagua grüne Reisterrassen zu überfluten. Die Küste kündigt sich mit hässlichen Ziegelbauten und staubigen Brachen an.

Der Sand und Lehm der Küstenwüste diente den Hochkulturen früher als Baumaterial. So errichteten die Moche hier aus Millionen von Lehmziegeln die 40 Meter hohe Sonnenpyramide und die Mondpyramide. In den vergangenen Jahren wurden hier metergroße, leuchtend bunte Wandgemälde und Friese freigelegt.

Zum Abschluss: Perus schönster Badeort

Die Kolonialstadt Trujillo, Hauptstadt des Nordens, ist ideal für den Ausklang der Rundreise: auf der einen Seite ein intaktes Altstadt-Ensemble, auf der anderen die nahe gelegene Pazifikküste mit ihren Stränden. Der Badeort Huanchaco gilt in Peru als herausragendes Surf-Revier mit besonders hohen Wellen.

Doch zwischen den hippen Sportlern mit ihren neuesten Brettern spielt sich jeden Tag ein weiteres, weitaus älteres Spektakel ab: Dunkelhäutige, muskulöse Männer schnüren aus Schilf innerhalb weniger Minuten wendige kleine Boote, die so genannten Caballitos de Totora, »Schilfpferdchen «. Immer wieder greift sich Carlos Ucanán Arola eines der meterlangen Bündel, schnürt sie zusammen, fügt weitere hinzu, zieht das Seil enger. »Seit 13 Jahren gehe ich mit dem Schilfboot fischen«, sagt Ucanán. Das Rohmaterial dafür wird auf speziellen Plantagen angebaut. Morgens um fünf paddelt der 42-Jährige auf See. Der spitze Bug durchschneidet die Wellen der Brandung, dann kann er Netz oder Angel auswerfen. Geduldig wartet er auf Beute, bis die ersten Surfer rechts und links von ihm vorbeisausen. Tradition und Moderne liegen in Perus Norden eben eng beieinander.

Wie im Krimi: Grabräuber gegen Archäologen

Die Nächte wollten nie enden: die Enge im Zelt; die Rufe der Grabräuber; die Angst. Luis Chero Zurita erinnert sich: »Die Grabräuber schrien immer wieder, dass sie uns töten würden. Sie waren Dutzende und wir nur zwei.« In Huaca Rajada nahe Chiclajo hatten Grabräuber im Jahr 1996 zwei Pyramiden entdeckt und auf der Suche nach Gold damit begonnen, sie aufzugraben. Mehrere Wochen arbeiteten beide Gruppen parallel: Die Grabräuber durchsiebten den Boden, die Archäologen versuchten unter Polizeischutz möglichst viel Material zu sichern. Sie gruben Brustplatten aus Gold und Muscheln aus, goldene Standarten, Tongefäße, filigrane Nasengehänge und Ohrpflöcke – Schätze aus den Gräbern des »Señor de Sipán« und seiner Entourage aus der Moche- Kultur, die um 700 n. Chr. unterging.

Der Fund leitete letztendlich Touristenströme um, brachte Wasser und Strom in viele Dörfer – und zwei hervorragende Museen in die Region: Das Museum Tumbas Reales de Sipán in Lambayeque bei Chiclayo stellt die wertvollsten Funde aus (www.museotumbasreales sipan.gob.pe), das Museo de Sitio de Huaca Rajada zeigt am Originalfundort Rekonstruktionen der Gräber – und die Pyramide, auf der die Archäologen einst den Grabräubern standhielten.

Autor: Oliver Gerhard (2/2017)

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