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Am Kochbrunnen bedienten sich einst die Kurgäste Wiesbadens - manche tranken bis zu vier Liter am Tag.

Am Kochbrunnen bedienten sich einst die Kurgäste Wiesbadens - manche tranken bis zu vier Liter am Tag. Foto: Francoise Hauser/dpa-tmn

Ein Hauch 19. Jahrhundert Kultur in Hessen: Wiesbaden ist eine Stadt unter Dampf

«Nizza des Nordens» wird Wiesbaden genannt. In der einstigen Weltkurstadt mit ihren prächtigen Boulevards und Villen kann man wunderbar der Atmosphäre des 19. Jahrhunderts nachspüren.

Das Wasser des Kochbrunnens kommt 66 Grad heiß direkt aus dem Erdreich. Es verbreitet einen schwefeligen Geruch und schmeckt entsprechend. Kaum zu glauben, dass die Wiesbadener Kurgäste noch vor 150 Jahren bis zu vier Liter täglich davon tranken.

Um die Gesundheit ging es damals eher weniger. Das Motto der Kurgäste lautete: sehen und gesehen werden.

Sogar diverse Kaiser kamen nach Wiesbaden, der Opernstar Enrico Caruso (1873-1921) verbrachte hier seine Ferien. Schriftsteller Dostojewski (1821-1881) verspielte im örtlichen Kasino sein Hab und Gut und ließ sich nebenbei zu seinem Roman «Der Spieler» inspirieren. Und das sind nur einige der Berühmtheiten, die sich hier die Klinke - oder eher den Wasserbecher - in die Hand gaben.

Wo es zischt und brodelt

Wer heute Wiesbaden besucht, sollte genau dort den Rundgang beginnen: mitten in der Stadt am Kochbrunnen und dem Kochbrunnen-Springer. Gleich 26 heiße Quellen hat die Stadt, und der Kochbrunnen bündelt gleich mehrere von ihnen. Rund 20.000 Liter sprudeln hier stündlich aus den Messinghähnen. Immer wieder kommen Anwohner mit vorbei, um sich von der salzigen Brühe abzufüllen.

Um die Kraft des Brunnens und seine Wirkung auf die Stadt zu sehen, muss man nur den Blick heben. Rund um den Kranz- und Kochbrunnenplatz strotzt die Stadt nur so von Grandeur: Hier liegen der «Schwarze Bock», das wahrscheinlich älteste Hotel Deutschlands aus dem Jahr 1486, das alte «Hotel Rose» - heute die Hessische Staatskanzlei - und das «Palasthotel», in denen einst die illustren Kurgäste residierten.

In der Taunusstraße, die am Kochbrunnenplatz beginnt, übertrifft sich die Stadt noch einmal mit Monumentalbauten, in denen heute besonders viele Antiquitätenhändler allerfeinste Waren anbieten. Boulevards mit Prachtbauten aus dem 19. Jahrhundert sind typisch für Wiesbaden.

Wie Wiesbaden zu Reichtum kam

Das heutige Wiesbaden wird im frühen Mittelalter als Wisibada erwähnt. Über die Jahrhunderte brachten die heißen Quellen der Siedlung offenbar immer wieder Gäste und einen bescheidenen Wohlstand. Die ganz große Glanzzeit der Stadt brach 1806 an, als Wiesbaden nicht nur zum Regierungssitz der Nassauer wurde, sondern gleichzeitig auch der moderne Gesundheitstourismus einsetzte.

Innerhalb weniger Jahre verwandelte sich Wiesbaden in die «Weltkurstadt», wie es sich fortan nannte. Dass es 1866 Teil Preußens wurde, erwies sich sogar als förderlich. Auch Kaiser Wilhelm I. und II. kurten nun hier. Auch sonst liest sich die Liste der prominenten Gäste wie ein Who is Who der Kultur: Thomas Mann, Goethe, Brahms, Wagner, Liszt, Strawinsky, Balzac, Kaiserin Sissi.

Von 1904 bis 1907 errichtet man auf Wunsch Kaiser Wilhelms II. an der Wilhelmstraße das prächtige neue Kurhaus in klassizistischem Stil, in dem man sich heute wieder um Kopf und Kragen spielen kann.

Plötzlich war Schluss mit lustig

Mit dem Ersten Weltkrieg war der Spaß vorbei. Wiesbaden blieb zwar Kurstadt, doch die Zeit des kaiserlichen Pomps fand ein jähes Ende. 1918 zog der Arbeiter- und Soldatenrat ins Stadtschloss, nur wenige Monate später wurde Wiesbaden von französischen Truppen besetzt und stand danach von 1925 bis 1930 unter britischer Besatzung.

Auch die Weltwirtschaftskrise hinterließ ihre Spuren - und nicht lange später der Zweite Weltkrieg. Dass all der Glanz des 19. Jahrhunderts heute dennoch existiert, liegt nicht zuletzt daran, dass Wiesbaden zwar lange Zeit glamourös, aber politisch nicht wirklich wichtig war. Im Zweiten Weltkrieg kam man glimpflicher davon.

Flanieren auf «der Rue»

In Wiesbaden gibt es noch mehr zu sehen als heiße Quellen und fette Villen. Natürlich lohnt sich ein Gang durch die Innenstadt. Zum Beispiel über die pompöse Wilhelmsstraße, von den Einheimischen liebevoll «die Rue» genannt. Bis heute ist es eine Straße der Reichen und definitiv kein Ort für Schnäppchenjäger.

Auch lohnt der Schlossplatz mit der Roten Marktkirche aus dem Jahr 1862, das höchste Gebäude der Stadt. Und das Stadtschloss der Herzöge von Nassau, in dem heute der Hessische Landtag sitzt.

Dass Wiesbaden nur eine vergleichsweise kleine Altstadt besitzt, mag überraschen. Große Brände vernichteten im 16. Jahrhundert mehrfach die Stadt. Kein Wunder, dass das älteste Stadthaus, das Cetto-Haus in der Wagemannstraße, gerade einmal aus dem Jahr 1728 stammt.

Wiesbaden von oben

Für den ganz großen Überblick muss man raus aus der Stadt. Wer gut zu Fuß ist, erledigt das in einem gut einstündigen Spaziergang über die Taunusstraße gen Nordosten. Im Nerotal wartet die Endhaltestelle der Nerobergbahn auf den Neroberg, Wiesbadens Hausberg.

Oben angekommen gibt es nicht nur einen wunderbaren Blick über die Stadt, sondern auch eine Hand voll Sehenswürdigkeiten. Das Opelbad im Bauhausstil, eines der ersten Freibäder Deutschlands, besticht mit einem wunderbaren Ausblick. Und saftigen Preisen.

Die goldenen Dächer der Russisch-Orthodoxen Kirche blitzen schon nach wenigen Metern durch das Laub der Bäume. Herzog Adolph von Nassau ließ die Grabkirche in Gedenken an seine junge Ehefrau erbauen, Prinzessin Elisabeth Michailowna, Großfürstin von Russland.

Hat man noch nicht genug imposante Bauten gesehen, kann auf dem Rückweg ins Nerotal noch einmal nachlegen: Wer im 19. und frühen 20. Jahrhundert genug Geld mitbrachte, ließ sich in Wiesbaden gleich eine Villa bauen. Nirgendwo sonst in Deutschland findet sich ein so großes zusammenhängendes historisches Villengebiet wie hier.

Informationen: Tourist Information, Marktplatz 1, 65183 Wiesbaden (Tel.: 0611/17 29 703, www.tourismus.wiesbaden.de).

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